Die neue Illusion der Leichtigkeit
Die Kolumne hinterfragt das Ideal der „Casualness“ in Beziehungen. Sie zeigt, dass vermeintlich lockere Intimität oft Ausdruck von Angst vor Nähe ist – ein Versuch, Zärtlichkeit ohne Verletzlichkeit zu erleben. Wahre Leichtigkeit, so das Fazit, gibt es in der Liebe nicht – nur Mut zur echten Verbindung.
11/11/20252 min read
Kann Intimität überhaupt „casual“ sein?
In einer Zeit, in der alles flüchtig scheint – Freundschaften, Jobs, Identitäten – ist auch Nähe zu einer Frage der Flexibilität geworden. „Casual“ heißt das Zauberwort: Beziehungen ohne Verpflichtung, Berührungen ohne Bedeutung, Intimität ohne Tiefe. Ein modernes Ideal der Unverbindlichkeit. Doch kann es das überhaupt geben – eine lässige Nähe?
Der Wunsch nach Casualness entspringt weniger der Leichtigkeit als der Angst. Der Angst, sich zu verlieren, sich festzulegen, sich sichtbar zu machen. „Casual“ ist nicht das Gegenteil von Ernst, sondern oft nur die elegante Verpackung für Unsicherheit. Wir sagen: Ich will nichts Festes – und meinen vielleicht: Ich will nicht verletzt werden.
Es ist eine sprachliche Schutzschicht gegen das, was Nähe eigentlich bedeutet: Verwundbarkeit.
Philosophisch betrachtet ist Intimität immer existenziell. Sie berührt das, was wir von uns selbst zeigen – und was wir lieber verbergen würden. Wenn zwei Menschen sich körperlich oder seelisch begegnen, findet eine Art stiller Offenbarung statt: Ich lasse dich für einen Moment sehen, wer ich bin. In diesem Augenblick ist nichts mehr „casual“, weil das, was da passiert, nicht nur zwischen Körpern, sondern zwischen Bewusstseinen geschieht.
Vielleicht ist das Paradoxe an der „casual relationship“, dass sie sich selbst widerspricht. Denn sie lebt von genau jener Intensität, die sie gleichzeitig zu vermeiden sucht. Sie will die Nähe, aber ohne die Konsequenzen. Sie will Wärme, aber keine Verantwortung.
Doch wie soll man Feuer berühren, ohne sich zu verbrennen?
Manchmal ist „casual“ nur das Wort, das wir wählen, um etwas zu benennen, das wir nicht ganz kontrollieren können. Ein Versuch, das Chaos der Gefühle in ein modernes Vokabular zu pressen. Aber Intimität bleibt eine archaische Erfahrung – alt, roh, ungebändigt. Sie entzieht sich unseren Definitionen. Und vielleicht liegt genau darin ihre Schönheit: dass sie uns daran erinnert, dass wir, trotz aller Selbstbestimmung, nicht völlig souverän über unsere Herzen sind.
Die neue Illusion der Leichtigkeit
Dieses Wort, das so modern klingt, so unbeschwert: casual.
Ein Versprechen von Freiheit, von Leichtigkeit, von nichts-muss-aber-alles-kann. Casual Dating, casual Sex, casual Beziehungen – als ließe sich Nähe wie ein Kleidungsstück tragen, das man bei Bedarf ablegt, wenn es zu warm wird.
Doch Intimität funktioniert nicht nach Dresscode. Sie haftet an der Haut, sie speichert Erinnerung. Eine Berührung ist nie nur Berührung. Sie bleibt – manchmal als Wärme, manchmal als Frage.
Wir nennen es „entspannt“, um uns selbst zu beruhigen. Doch was ist wirklich entspannt daran, sich emotional auf Stand-by zu halten? Wer Nähe sucht, ohne gesehen zu werden, führt letztlich ein stilles Experiment mit sich selbst: Wie viel Verbindung halte ich aus, ohne mich zu verlieren?
Die Idee der unverbindlichen Intimität ist ein Kind unserer Zeit – geboren aus Überforderung und Selbstschutz. Wir wollen die Zärtlichkeit, aber ohne das Risiko. Nähe, aber ohne die Verantwortung. Es klingt rational, beinahe modern. Und doch verrät es eine tiefe Sehnsucht: den Wunsch, nicht allein zu sein, ohne sich wirklich öffnen zu müssen.
Vielleicht ist das wahre Paradox: Wir nennen es casual, weil wir hoffen, dass Gefühle sich an Regeln halten. Aber Intimität ist kein Abo-Modell, kein kontrollierbares Terrain. Sie passiert uns – unerwartet, unvernünftig, intensiv. Und genau das macht sie menschlich.
Am Ende bleibt die Frage: Kann man wirklich „leicht“ lieben, wenn man dabei nackt ist – körperlich oder seelisch?
Vielleicht ist das einzig Ehrliche, zuzugeben: Es gibt nichts Lässiges an Nähe. Nur den Mut, sie zuzulassen – oder die Eleganz, sie loszulassen, wenn sie vorbei ist