MEIN HERZ WEIß NICHT WIE MAN HALB LIEBT
8/17/20252 min read
Mein Herz weiß nicht, wie man halb liebt
Über die radikale Ganzheit von Nähe
Es gibt Menschen, die lieben in Maßen. Sie öffnen Türen nur so weit, dass ein Spalt Licht hindurchfällt. Sie lassen andere nah genug heran, um Wärme zu spüren – aber weit genug weg, um nicht verbrannt zu werden. Diese Vorsicht hat ihre Gründe: Angst vor Enttäuschung, schlechte Erfahrungen, das Wissen, dass Nähe auch verletzlich macht.
Und dann gibt es jene, deren Herz keinen Dimmer kennt. Für sie gibt es kein „ein bisschen“. Keine Drosselung. Kein Sicherheitsabstand. Sie treten mit voller Kraft hinein – in eine Freundschaft, eine Liebe, eine Verbindung. Sie schreiben zuerst, sie fragen nach, sie bleiben wach, bis die Nachricht kommt. Nicht, weil sie müssen, sondern weil sie nicht anders können.
Alles oder nichts
Die Psychologin Elaine Aron nennt solche Menschen highly sensitive persons – hochsensibel, tief verarbeitend, mit einer enormen Empathiefähigkeit. Diese Eigenschaften machen sie zu Vertrauten, die man um drei Uhr morgens anrufen kann. Zu Freund:innen, die nicht nur zuhören, sondern mitleben. Zu Partner:innen, die nicht taktieren, sondern handeln.
In unserer Kultur wird dieses „Alles oder nichts“ jedoch oft belächelt oder als Schwäche abgetan. Man soll „sich rar machen“, nicht „zu viel investieren“, bloß „nicht klammern“. Selbst in Freundschaften gilt Distanz als souverän. Doch die Sozialpsychologie hält dagegen: Studien wie die von Beverley Fehr und Olesya Harasymchuk zeigen, dass stabile, erfüllende Bindungen – ob romantisch oder platonisch – vor allem dann entstehen, wenn Menschen aktiv in ihre Beziehung investieren. Häufig sind es die, die mehr geben, die Verbindungen überhaupt erst tragen.
Das Risiko der Ganzheit
Natürlich birgt dieses Fühlen ein Risiko. Wer alles gibt, läuft Gefahr, zu erschöpfen oder enttäuscht zu werden. Manche Menschen ziehen sich zurück, wenn die Intensität sie überfordert. Aber hier liegt auch der Wert: Für den Moment, in dem man so geliebt oder befreundet wird, weiß man, wie es ist, vollständig angenommen zu sein – ohne Limit, ohne Berechnung. Das ist selten. Und vielleicht gerade deshalb so kostbar.
Mut statt Naivität
Es ist nicht Naivität, sondern Mut, sich immer wieder für die Ganzheit zu entscheiden. Mut, das eigene Herz nicht zu teilen, sondern ganz hinzuhalten – auch wenn man weiß, dass es wehtun könnte. Vielleicht ist das die einzige Art von Liebe und Freundschaft, die am Ende bleibt: die, die keine halben Wege kennt.