WIE VIEL „MEHR“ VERTRÄGT EIN LEBEN?
5/1/20252 min read
WIE VIEL „MEHR“ VERTRÄGT EIN LEBEN?
Wir sind eine Generation der Ambitionen. Uns wurde beigebracht, dass alles möglich ist: „Sei du selbst“, „Werde, was du willst“, „Die Welt steht dir offen“. Aber je häufiger wir diesen Sätzen begegnen, desto mehr beschleicht uns das Gefühl, dass sie vielleicht weniger Versprechen als Bürde sind. Denn wer immer alles sein könnte, hat nie das Gefühl, schon genug zu sein.
In unserer Gegenwart schwingt deshalb ein permanentes Unbehagen mit: das Gefühl, für mehr bestimmt zu sein. Mehr als ein Job, der funktioniert. Mehr als eine Wohnung, die passt. Mehr als ein Alltag, der im Kalender aufgeht. Dieses „Mehr“ ist nicht greifbar, und gerade deshalb so schwer zu stillen.
Ambition und Überforderung
Wir wollen Sinn – und landen oft im Burnout. Wir wollen Freiheit – und fühlen uns doch gefangen in den Optionen. Psychologen sprechen von der Tyrannei der Wahl: je größer das Feld, desto lähmender die Entscheidung. Unsere To-do-Listen wachsen, unsere Aufmerksamkeit schrumpft. Und während wir vom „Mehr“ träumen, sind wir zugleich überfordert vom Zuviel.
Der Philosoph Byung-Chul Han nennt das unsere Müdigkeitsgesellschaft. Ein System, in dem wir nicht unterdrückt, sondern überanstrengt werden. Wir treiben uns selbst an – bis das vermeintliche „Mehr“ nichts anderes ist als erschöpfte Leere.
Das performte „Mehr“
Gleichzeitig wird unser Drang nach Größe zur Bühne. Wir „performen“ unsere Ziele, posten unsere Projekte, kuratieren unsere Karrieren. Doch wer nur sichtbar macht, dass er für mehr bestimmt ist, riskiert, dass genau dieses „Mehr“ zum ästhetischen Feigenblatt verkommt – glänzend, aber hohl.
So wird das Gefühl, nicht genug zu sein, zur kollektiven Erfahrung. Wir vergleichen uns endlos, messen unsere Biografien an fremden Zeitachsen und verlieren dabei das Maß für uns selbst.
Vielleicht liegt das „Mehr“ im Weniger
Die Frage ist also: Wie viel „Mehr“ verträgt ein Leben überhaupt? Vielleicht ist die Antwort weniger heroisch, als wir denken. Vielleicht besteht das eigentliche „Mehr“ darin, weniger Rollen zu spielen, weniger Erwartungen zu erfüllen, weniger zu performen – und dafür mehr zu leben.
Echtes Wachstum, so könnte man sagen, geschieht nicht im endlosen Steigen, sondern im bewussten Landen. Nicht in der Jagd nach dem Übermaß, sondern in der Klarheit, was uns trägt.
Eine Generation im Zwiespalt
Wir sind nicht nur die Generation der Ambitionen. Wir sind auch die Generation der Zweifel. Wir fühlen uns zu groß für das „Okay“ und zu klein für das „Alles“. Und vielleicht ist genau das unsere Wahrheit: dass wir im Spannungsfeld zwischen Anspruch und Überforderung lernen müssen, unser eigenes Maß zu finden.
Denn das „Mehr“, nach dem wir suchen, wird nicht von außen vergeben. Es entsteht dort, wo wir uns trauen, weniger perfekt, weniger vergleichbar, weniger permanent verfügbar zu sein. Und vielleicht ist das die eigentliche Größe: ein Leben, das nicht maximal glänzt – aber maximal gehört.